(fernsehen) by sam
comment    
miro @  6/15/04, 8:44 PM:

hab gerade mehrmals einen anfang für einen comment diesbezüglich versucht. ich kriegs nicht hin. wir müssen über sowas reden. diese gesellschaft ist am arsch, und wir sind die, die s auch ändern müssen. mal einfach gesagt. schluss mit labbern. "werdet doch mal konkret!" wann?


 
jussuf @  6/16/04, 11:02 AM:

»Labbern« ist ein gutes Stichwort, denn meiner Meinung nach ist ein Hauptproblem der aktuellen kulturellen Entwicklung das die Sprache verarmt und verschwindet.

Die mnemonische Kraft (Gedächtnis), die Kraft, die aufgrund von Erinnerungen vitale Funktionen lenkt, wird besonders stark durch Bilder entwickelt. In diesen Möglichkeiten gegenüber dem menschlichen Empfänger, liegt die Macht des Bildes, und diese Macht wird ausgenutzt (das war natürlich schon immer so). Ihr kennt wahrscheinlich die Umfragen zum Thema »Wer liest was?«. Zuviele Leute lesen nur noch Bildunterschriften oder Headlines, bzw. sehen sich Nachrichten an.

Heute kommt es darauf an, in kürzester Zeit viele Sinnesdaten aufzunehmen. Das Auge eignet sich dazu am besten. Je stärker die Art der Darstellung stereotypisiert, desto gebräuchlicher die Kennzeichen und ihre Verwendungen sind, glaubt man eine Wahrheit wird eingefangen. Zugrunde liegt der Glaube an die Objektivität von Fotografie, das Vertrauen ins Bild. Der Mensch hat Vertrauen nötig, um leben zu können, denn seine Instinkte leiten ihn nicht sicher. Jede Fotografie zeigt was geschehen ist, man kann selbst nicht betroffen sein. Es dominiert ein Gefühl von Sicherheit.

Darin liegt die Ohnmacht der rationalen Sprache.

Es kommt leicht zu Fehlurteilen. Wir sind mit den iconischen Aspekten des Fotos vertraut, wir meinen Fotos schnell und adäquat apperzipieren zu können. Wir schreiben leicht objektive Aussagen zu, wo gar keine vorhanden sind. Leichtfertige, nicht oder kaum reflektierte Urteile werden auch dadurch befördert, daß die Erwartungshaltung des Rezipienten für eine unreflektierte Monosemierung des Zeichens sorgt (In eine Schublade stecken).

Erwartungshaltung und Medium stehen in einer Wechselwirkung. Einerseits wird die Erwartungshaltung des Rezipienten durch die durchgängige interpretatorische Linie eines Mediums konditioniert, herausgebildet und gefestigt; andererseits werden Nachrichten gemäß der Erwartungshaltung interpretiert, bewertet, zugeordnet, eben apperzipiert.

Norm ist zur Zeit das System, das sich anhand der unentwegten, bewußten und unbewußten Wahrnehmung massenmedial verwendeter, visuell wahrnehmbarer Medien, herausgebildet hat.*

Im Sinne des Artikels von Norbert Bolz den Sam gepostet hat sollte also Kritik »geübt werden« (die Anbringung und Artikulation von Kritik). Was ist aus den Konzepten meiner Schulzeit geworden? Wir mussten im Deutschunterricht Diskussionsrunden bilden und fundiert! zu einzelnen Themen Stellung beziehen. Und das ist das Gegenteil von Labbern!

*[aus: Semtiotik. Bilder werden Zeichen. Der Krieg im Kosovo und seine Darstellung in den Bildmedien. Vortrag, J. Wunschik, 2000]


 
splammo @  6/16/04, 1:12 PM:

Aber machen wir das nicht genauso! Ich erinnere mich nur an Sprüche wie "Gab es schon!". Pauschalisierung und Gleichgültigkeit machen sich auch bei uns breit. Wer is denn noch groß von irgendetwas beeindruckt? Kunst schockt nicht mehr und die Jagd nach neuem außergewöhnlichen ist bei uns weit verbreitet. Damit unterstützen wir ja die heutige Gesellschaft und prägen sie. Wir interessieren uns nicht mehr für alte Sachen und versuchen alles in Sparten zu stecken. Wann habt ihr das letzte mal zwei Stunden vor einem einzigem Bild verbracht und die Schönheit des Werkes bewundert?


 
jussuf @  6/16/04, 2:10 PM:

Aber machen wir das nicht genauso! Ich erinnere mich nur an Sprüche wie "Gab es schon!". Pauschalisierung und Gleichgültigkeit machen sich auch bei uns breit.

Nein! Pauschalisierung und Gleichgültigkeit in Bezug auf Websites oder andere Werke die qualitativ nicht überzeugen können und nicht einmal spannend sind ist etwas anderes, als Abstumpfung gegenüber einer persuasiven Massenmediensoße.

Wer is denn noch groß von irgendetwas beeindruckt? Kunst > schockt nicht mehr und die Jagd nach neuem außergewöhnlichen ist bei uns weit verbreitet.

Wen meinst Du mit »uns«? Die Mediengestalter, unsere Generation oder Mizubitchy? (zu denen ich nur auf dem weblog zähle)

Damit unterstützen wir ja die heutige Gesellschaft und prägen sie. Wir interessieren uns nicht mehr für alte Sachen > und versuchen alles in Sparten zu stecken.

Davon kann keine Rede sein. Gerade im Studium ist man doch damit beschäftigt sich mit Vergangenheit (alte Sachen?) und bereits gemachten Erfahrungen auseinanderzusetzten. Das Einordnen von Erfahrungen ist wichtig für das Verständnis eben dieser. -> Jeder wendet Filter an! Das Problem ist, das die Filter bei zunehmender Bilderflut und »Schrottgelabber« immer enger werden, und das wichtigste nicht durchdringt. Was durchdringt ist bunte Knete, und diese verstopft die Köpfe vieler Leute.

Wann habt ihr das letzte mal zwei Stunden vor einem einzigem Bild verbracht und die Schönheit des Werkes bewundert

Man muß sich nicht 2 Stunden vor ein Bild setzten! Ich meditiere täglich über meinen unaufgeräumten Schreibtisch.


 
splammo @  6/16/04, 4:35 PM:

Verallgemeinerungen treffen halt nicht auf alle zu! Ich finde aber schon, das man wie nie zu vor unter dem Druck steht was neues machen zu müssen.


 
miro @  6/16/04, 8:35 PM:

ich habe eher den eindruck, dass wir uns diesen druck selbst auferlegen. wir sehen was, finden das geil, wollen dann auch "sowas" machen, nur anders. und das is vielleicht falsch. denn anders wird es von ganz allein. es gibt keine wiederholung. nie. ausser man löscht sein gedächtnis. erst dann kann man alles nochmal exakt genauso wiederholen und "neu"erleben (so müsste es doch ungefähr auch in dem neuen gondry erklärt werden, hab ihn leider noch nicht gesehen).

also ist der versuch etwas unbedingt neu machen zu wollen unnötig, denn neu wird es sowieso. niemand mehr wird einen "mönch am meer" malen können, so wie caspar david friedrich (als beispiel). nicht der maltechnik wegen, nein, das kann man sicher üben und dann klappt das auch. aber was würde das auslösen, wenn jemand heute tatsächlich zwei jahre seines lebens für ein ölgemälde "opfern" würde das es schon gibt. es wäre ein statement (irgendeins). nicht neu als bild, aber als aussage. automatisch. deswegen kann "neu" als qualitätskriterium nicht gelten. wenn jemand den "mönch am meer" nochmal neu malen würde (exakt so wie im original, rein hypothetisch), dann wäre dieser zwar neu, aber wäre das eine interessante, gute (?) sache?

anders gefragt: wenn ich mir jetzt DIE neue sache ausdenke, ist sie dann auch gleich gut? nein! wenn ich eine website baue, die so aussieht, wie viele andere websiten auch, dann kann man sagen "das gab es schon!". ok. vermutlich geht es bei dieser kritik dann aber nicht darum, dass die website nicht "neu" ist, sondern darum, dass sie etwas repräsentiert, was als alt, im sinne von vergangen, noch besser überwunden, gilt. bspw. ein interface, ein menü, dass sich als unpraktisch erweist etc. oder in seiner technischen durchführbarkeit als mittlerweile zu umständlich, kann durch technische neuerungen verbessert werden. wenn der momentane zustand nicht befriedigend ist - in welcher beziehung auch immer - dann ist es doch in ordnung zu versuchen, diesen zustand zu verbessern. das meint ja nicht, dass man alles ständig verbessern muss. manche sachen reichen auch aus. aber mit neuen technologien kommen auch neue möglichkeiten, die dinge anders, vielleicht besser zu machen.

das kann auch zum selbstzweck werden. schneller, höher, weiter. wofür? ich habe bspw. lange noch mit win98 gearbeitet, obwohl winXP längst bei allen standart war. ging aber auch. dann allerdings irgendwann nicht mehr. muss nicht immer mit dem neusten wagen fahren, wenn mich der alte genauso schnell ans ziel bringt. oder immer den aktuellsten rechner haben. ne jan ;)

ich sehe daher diesen druck nicht, dass man etwas neues machen muss. bzw. nicht mehr als früher auch. etwas besser machen kann man nur dann, wenn man ein konkretes problem mit dem ist-zustand hat. wenn es kein problem gibt, dann muss der zustand doch nicht verändert werden.

um mal langsam wieder zu dem ausgang der diskussion zurück zu kehren: der zustand dieser gesellschaft ist, meiner meinung nach nicht gut. das ist ein problem. (mal ganz einfach gesagt!) da nach neuen oder auch alten (bewährten) lösungen zu suchen halte ich für wichtiger, als über das design von irgend einer website zu streiten. gab`s schon. na und? funktioniert trotzdem.

hm. wollte schon schließen, da lese ich noch was bei jan: wenn kunst nicht mehr schockt (angeblich), liegt das deiner meinung nach an der kunst oder an den rezipienten?


 
jussuf @  6/17/04, 10:50 AM:

Entschludigung, aber was soll eigentlich immer dieser Schockbegriff? Ich muß dabei an den Schock den Walter Benjamin beschreibt denken. Warum soll denn etwas unbedingt schocken? Ist es nicht ein Mißverständnis das sich wie dieses Wort in unsere Alltagskultur eingeschlichen hat? Wer meint Kunst muß schockieren und deshalb wie Schlingensief die Leute auf die Bühne pissen läßt hat was falsch verstanden.

Aber wahrscheinlich meint Jan »schocken« als positiven Begriff, siehe: geil, fett, rockt… [wer erklärt das meiner Oma? ;)


 
Cornel @  6/17/04, 6:00 PM:

gesellschaft gesellschaft. jeder einzelne von uns ist doch die gesellschaft und somit dafür verantwortlich, nicht die anderen. und die gesellschaft geht schon seit ihrem bestehen den bach runter, oder rauf, oder rauf und runter, wie mans sieht. wer was neues will oder was anderes, brauch nur auf sich, auf das lebende schauen, das ist immer neu, jede sekunde, da gibts nix anderes, ausser neu. da lässt sich ne menge abzwacken, wenn man aufmerksam ist. alt sind nur die gedanken, die sind immer älter als das leben. mit denen kann man dann am abgezwackten rumbasteln, oder nicht. wie man will. keine ahnung ob das alles stimmt. ihr müssts schon selber finden. sagen kann euch niemand was falsch oder richtig. (mann kann ja ooch nur positiv + negativ wählen, aber nie zwischen beiden, sonst gibts krieg)

schönen sommer noch! gr. euer cornel


 


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